Sechs Vorteile werden häufig vermutet, die eine vorsorgliche Entfernung der Vorhaut an einem Kind rechtfertigen könnten.

1. Vermutete bessere Hygiene

Manchmal wird behauptet, dass es schwierig sei, Vorhaut und Eichel zu reinigen, und eine Beschneidung daher "hygienischer" sei. Das ist unzutreffend. Die Reinigung von Eichel und Vorhaut ist gerade mal so aufwändig wie beispielsweise die Reinigung von einem Ohr, und dauert üblicherweise ca. 10 Sekunden.

Auch die Annahme, dass Smegma ein Problem von unbeschnittenen Männern sei, ist falsch: Smegma entsteht ebenso auf dem beschnittenen Penis, denn es wird auch von der Eichel produziert. Bei Frauen entsteht Smegma übrigens auch, nämlich auf den kleinen Vulvalippen. Alle Genitalien müssen also gewaschen werden, ganz gleich ob sie unverändert oder beschnitten sind. Fehlannahmen über eine angeblich bessere Hygiene durch Beschneidung bestehen meistens bei Personen, die selber keine Penis­vorhaut haben, und insofern auch über keine eigene Erfahrung damit verfügen. 

Darüber hinaus handelt es sich bei dieser Behauptung auch eindeutig um Body­shaming, also der Abwertung des natürlichen körperlichen Erscheinungsbildes einer Person mit dem Ziel der Beleidigung oder Diskriminierung.

Fazit: Es gibt keine hygienischen Vorteile, die eine Beschneidung an einem Kind rechtfertigen könnten. 

Icon für sexuelle Übertragbare Krankheiten, kein Schutz durch Beschneidung

2. Vermuteter Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten

Wie in der offiziellen medizinischen Leitlinie nachzulesen ist, schützt Beschneidung nicht vor Syphilis, Gono­rrhoe ("Tripper") oder HPV (Humane Papillom­viren). Vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt aber das Kondom, und zum Schutz vor Papill­oma-Viren, von denen einige Gebär­­mutter­­hals­krebs (Zervix­karzinom) und Penis­krebs verursachen können, gibt es die HPV-Impfung.

Fazit: Beschneidung schützt nicht vor sexuell übertragbaren Krankheiten.

Quelle: Leitlinie "Phimose und Paraphimose", Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) 2021.
Icon für HIV, kein Schutz durch Beschneidung

3. Vermuteter Schutz vor HIV-Infektion 

Die Behauptung, dass Beschneidung vor HIV schützen würde, beruht auf einer Vermutung der WHO von vor 20 Jahren, für die es bis heute keinen wissenschaftlichen Beweis gibt. Daher empfiehlt auch keine einzige medizinische Fachgesellschaft in Europa Beschneidung als angebliche Maßnahme des HIV-Schutzes. 

Trotzdem werden in Afrika Beschneidungen mit der Behauptung beworben, dass sie das Risiko einer HIV-Infektion um 50 – 60% senken könnten. Diese Angabe ist irreführend. Zutreffend ist, dass es in der Theorie eine rein rechnerische Risikoreduktion von 1% geben kann, aber dass sich in der Realität beschnittene Männer in Europa genau so häufig mit HIV infizieren wie Männer mit unverändertem Penis.

Fazit: Durch Beschneidung kann das reale Risiko einer HIV-Infektion nicht gesenkt werden. 

Datenquelle Risikoreduktion: Gray et al., 2007 LANCET. Quelle Risikoanalyse: Frisch and Simonsen 2022 EUROP J EPID. Quelle zur Relevanz: Leitlinie "Phimose und Paraphimose", Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) 2021.
Icon für Behandlung von HWI mit Antibiotika, nicht prophylaktische Beschneidung

4. Vermuteter Schutz vor Harnwegs­infektionen

Es wird manchmal behauptet, dass Beschneidung Jungen vor Harn­wegs­infektionen schützt. Einen solchen Schutz benötigen sie aber gar nicht. Harn­wegs­infektionen kommen bei gesunden Jungen selten vor, und wenn sie mal auftreten, werden sie ganz einfach mit Antibiotika behandelt. Eine Ausnahme kann es nur bei seltenen Anomalien der Harnwege (z.B. PUK, VUR) mit drohender Dialysepflicht geben. Ansonsten ist eine prophylaktische Operation, um einen banalen Infekt zu verhindern, medizinisch abwegig.

Fazit: Eine vorsorgliche Beschneidung an einem gesunden Kind als angeblicher Schutz vor Harn­­wegs­­infektionen ist medizinisch abwegig.  

Datenquelle: Leitlinie "Phimose und Paraphimose", Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) 2021.
Icon für seltene Erkrankung Peniskrebs, mit Antibiotika, kein Argument für prophylaktische Beschneidung

5. Vermuteter Schutz vor Peniskrebs

Schutz vor Peniskrebs wird manchmal als Argument für eine prophylaktische Vorhautentfernung angeführt. Peniskrebs ist aber eine seltene Erkrankung, die Männer ohnehin erst in einem Durchschnittsalter von 70 Jahren betrifft. Wenn man Jungen vor Peniskrebs und weiteren HPV-assoziierten Erkrankungen schützen will, so ist dafür die HPV-Impfung empfohlen. Eine Beschneidung an einem Kind kann mit dieser Behauptung nicht begründet werden.

Fazit: Jungen brauchen keine Beschneidung als angeblichen Schutz vor Peniskrebs, denn dies ist eine sehr seltene Erkrankung alter Männer. 

Datenquelle: Robert Koch-Institut, Zentrum für Krebsregisterdaten, 2019

6. Vermutete längere sexuelle Ausdauer

Es wird manchmal behauptet, dass beschnittene Männer eine längere sexuelle Durchhalte­fähigkeit haben könnten. In wissenschaftlichen Studien, die dies untersucht haben, wurde aber kein Unterschied gefunden.

Hingegen gibt es aber beschnittene Männer, die beklagen, dass ihr Penis im Laufe ihres Lebens durch die Beschneidung so weit abgestumpft sei, dass sie ohne übermäßig starke Stimulation gar keinen Orgas­mus mehr erreichen können. Lesen Sie mehr dazu bei den möglichen Nachteilen von Beschneidung.

Doch selbst wenn es einen Einfluss auf die sexuelle Durchhalte­fähigkeit gäbe, würde das natürlich trotzdem keinen Eingriff an einem Kind rechtfertigen. Denn nur ein erwachsener Mann, der unter einem Problem mit seiner sexuellen Ausdauer leidet, hätte das Recht, so eine irreversible Operation an sich selbst veranlassen.

Fazit: Ein Kind braucht keine Beschneidung, um angeblich ein sexuelles Problem zu behandeln, das es nicht hat. 

Beschneidung hat für ein gesundes Kind keine Vorteil, aber viele Risiken.

Bei der Frage der Kinder­beschneidung ist das einzig relevante Kriterium, ob ein Kind davon so große medizinische Vorteile hätte, dass dies eine irreversible Entfernung eines gesunden Organteils ohne Einwilligung und die Risiken einer Operation rechtfertigen würde. Dies ist medizinisch besehen eindeutig nicht der Fall. 

Erwachsene Männer können natürlich eine Beschneidung an ihrem eigenen Penis durchführen lassen, wenn sie sich dies wünschen, und sie bereit sind, die damit verbundenen Risiken einzugehen. Doch einem  Kind kann man solche Risiken nicht aufbürden. Lesen Sie mehr dazu bei den Informationen zu den möglichen Nachteilen von Beschneidung.