Ethische Prinzipien in der Medizin

"Primum non nocere" = Erstens nicht schaden.

Die hippokratische Tradition der Medizin beruft sich auf drei bekannte lateinische Grundsätze: "Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare". Auf Deutsch lauten diese: 

  •   Erstens nicht schaden,
  •   zweitens vorsichtig sein,
  •   drittens heilen.

Eine Beschneidung, die ohne leitlinien-konforme Indikation durchgeführt wird, verstößt gegen alle drei Grundsätze. Dabei ist es ganz gleich, ob die fehlende Indikation auf mangelnder Leitlinien­treue der Ärzteschaft beruht, oder ob diese Ärzte/innen damit nur den Aufforderungen von Eltern nach­kommen. Denn die hippokratischen Grundsätze werden in beiden Fällen miss­achtet:

  •   Erstens wird ohne Notwendigkeit das Risiko eines akuten Schadens oder negativer Spätfolgen in Kauf genommen. 
  •   Zweitens wird die medizinische Zurückhaltung und Vorsicht  miss­achtet, die gerade bei Kindern besonders wichtig ist.  
  •   Drittens gibt es keine heilende Absicht, denn es liegt keine rechtfertigende Krankheit vor. 

Unabhängig von diesen Grundsätzen ist jeder Eingriff medizin-ethisch ohnehin nur dann zulässig, wenn ein Patient diesem zustimmt. Natürlich kann es Situationen geben, wo die Einwilligung zur Zustimmung nicht abgewartet werden kann. In diesen Fällen ist ärztliches Handeln aber nur dann gerechtfertigt, wenn ein akutes Risiko für eine lebensbedrohliche Krankheit vorliegen würde.

Dies ist bei einer Beschneidung ohne medizinische Indikation nicht der Fall. Wird dann trotzdem an einem Kind eine Operation durchgeführt, so kann dies nur mit einem einzigen Begriff bezeichnet werden: es handelt sich um einen Zwangseingriff. 

"Besser wir als die anderen" ist keine ethische Haltung der Medizin.

Teile der Ärzteschaft argumentieren manchmal, dass sie Beschneidungen auf Wunsch von Eltern vornehmen, weil diese den Eingriff sonst vielleicht von weniger qualifiziertem Personal durchführen lassen würden. Dies wird manchmal mit dem Spruch "Besser OP-Tisch als Küchentisch" zusammen gefasst.  

Das Argument einer angeblichen Schadens­begrenzung trifft aber nicht zu. Denn negative Spätfolgen treten unabhängig davon auf, ob der Eingriff mal unter medizinischen Bedingungen durchgeführt wurde oder nicht. Darüber hinaus können auch die akuten Risiken des Eingriffs nicht eliminiert werden, wenn der Eingriff von der Ärzteschaft durchgeführt wird. Dies lässt sich anhand der vielen wissenschaftlichen Berichte über Schäden nach ärztlichen Beschneidungen belegen, ebenso wie man dies auch in unserer Presseschau und unserer Widmung sehen kann.

Die ethische Alternative zu einem medizinisch unnötigen und möglicherweise schädigenden Eingriff ist daher nicht, ihn von den Rahmen­bedingungen her zu optimieren, sondern ihn zu unterlassen.

Die Ethik der Medizin sollte nicht nach Geschlecht unterscheiden. 

Es widerspricht der Ethik der europäischen Medizin, einem Kind ein gesundes Körperteil zu entfernen, weil dessen Eltern sich dies wünschen. Vielmehr ist es die Aufgabe der Ärzteschaft, sich medizinisch auf die Seite ihrer kleinen Patienten zu stellen, und deren Integrität zu schützen. Diese ethischen Grundsätze dürfen nicht davon abhängen, um welches Geschlecht es sich bei dem Kind handelt.

Aus diesen Gründen ist es auch in Europa geächtet, dass Mädchenbeschneidung durch medizinisches Personal ausgeführt wird. Denn solange sich die Ärzteschaft zu Erfüllungsgehilfen einer un­­medizinischen Praxis macht, wird es immer Kinder­beschneidung geben – ganz gleich ob bei Jungen oder bei Mädchen.