Der "Beschneidungs-Paragraph" und die gesetzliche Lage von Jungen in Deutschland.

Der sogenannte "Beschneidungs-Paragraph" §1631d des Bürgerlichen Gesetz­buches (BGB) stellt seit dem Jahr 2012 das Genital von Jungen schutzlos vor einem Genitaleingriff im Vergleich zu Mädchen oder Kindern mit Varianten der Geschlechtsorgane. Hier schildern wir, wie es zu dem Gesetz kam.

Icon eines Jungen mit Nachblutungen nach Beschneidung

1. Der medizinische Fall im Jahr 2010

Im November 2010 wurde ein 4-jähriger Junge in die Kindernotaufnahme der Kölner Uniklinik gebracht. Dem Junge war 2 Tage zuvor in einer Arztpraxis auf Veranlassung der Eltern aus kulturell-religiösen Motiven die Vorhaut entfernt worden. Das Kind hatte als Folge des Eingriffs Nachblutungen und musste deshalb mehrere Tage stationär aufgenommen werden. Das Krankenhaus erstattete Anzeige gegen den Arzt, woraufhin der Fall im Mai 2012 vor dem Kölner Landgericht verhandelt wurde.

Icon für Urteil des Kölner Landgerichtes

2. Das Urteil des Kölner Landgerichts im Mai 2012

Das Landgericht stellte in seinem Urteil zunächst fest, dass die Nachblutungen nicht auf einem Fehler des Arztes beruhten, und bewertete damit diese Komplikation als übliches Risiko des Eingriffs. In seiner Begründung definierte das Kölner Landgericht aber eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung grundsätzlich als "Körperverletzung".

Das Landgericht führt weiterhin aus, dass "dem Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung in Abwägung zum Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung kein Vorrang zukomme".

Darüber hinaus schrieb das Gericht: "Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten".

Icon für Ungleichgewicht zwischen Elternglaube und Kinderrechten

3. Druck der Religionsvertreter und Reaktion der Politik

Vertreter/innen der kinder­beschneidenden Religionen griffen das Urteil sofort auf und verlangten von der Politik eine Regelung, um den Eingriff an Kindern zu legitimieren. Unter dem Schlagwort der "Rechtssicherheit" sollte damit unterbunden werden, dass sich ein "Kölner Urteil" zugunsten der Unversehrtheit von Kindern an anderen Gerichten wiederholen könnte. Bundestags­abgeordnete aller Parteien gaben an, dass sie sich von Religionsvertretern/innen unter Druck gesetzt fühlten, eine schnelle Lösung herbeizuführen.

Die Bundesregierung legte daraufhin im Juli 2012 einen Gesetzesentwurf vor, der das Genital von Jungen für einen Eingriff ausdrücklich frei gab. Fachverbände wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sprachen sich gegen den Entwurf aus. Vereine von Betroffenen wurden beim Entwurf des Gesetzes nicht beteiligt, und von der Anhörung im Rechtsausschuss auch explizit ausgeschlossen. Ein partei­übergreifender Alternativ-Vorschlag, der den Rechten von Kindern mehr Gewicht einräumte, fand keine Mehrheit. Eine Evaluation der Gesetzes­folgen nach 5 Jahren, wie dies für viele neue Gesetze üblich ist, wurde ebenfalls abgelehnt.

Icon für Widerspruch zum Grundgesetz

4. In Deutschland werden seit 2012 Elternwünsche per Gesetz über Kinderrechte gestellt

Im Ergebnis wurde im November 2012 in Deutschland ein weltweit einmaliges Gesetz beschlossen. Denn Paragraph §1631d des Bürgerlichen Gesetzbuches gibt nun das Genital von Jungen für eine Vorhautentfernung auf Wunsch der Eltern frei, und überlässt die Durchführung auch Personen, die keine medizinische Ausbildung haben, wenn das Kind dabei jünger als 6 Monate ist.

Unter Juristen gilt es weitgehend als unstrittig, dass dieser Paragraph unserem Grundgesetz widerspricht. Denn das Grundgesetz garantiert in Artikel 2 die "körperliche Unversehrtheit" und in Artikel 3 die "Gleichberechtigung der Geschlechter ". Durch den "Beschneidung-Paragraphen" wird aber die Verletzung des Körpers eines Kindes explizit erlaubt und von dessen Geschlechtszuweisung abhängig gemacht. Darüber hinaus macht der Paragraph eine Ausnahme für Jungen vom Bürgerlichen Gesetzbuch, welches vorher eine gewaltfreie Erziehung für alle Kinder garantierte. Ebenso widerspricht dieser Paragraph den UN Kinder­rechts­konventionen, welche Kinder vor Gewaltanwendung schützen. Außerdem wird damit per Gesetz die medizinische Kompetenz, eine Operation an einem Kind durchzuführen, der Ärzteschaft aus der Hand genommen und an medizinische Laien gegeben.