Wenn sich am Geschlecht eines Kindes festmacht, ob es als schützenswert gilt oder nicht, so ist dies eine offensichtliche Form von Diskriminierung anhand des Geschlechts, und damit ein Sexismus.
In Deutschland werden heutzutage zurecht auch beiläufige Formen von Sexismus gegen Frauen und Mädchen angeprangert. Über die deutliche Verletzung der Kinderrechte von Jungen durch Beschneidung wird hingegen oftmals hinweg gesehen.
Auch verurteilen viele gesellschaftspolitische Organisationen in Deutschland einen Mangel an Kinderschutz und Gleichberechtigung in weit entfernten Ländern. Doch wenn es um die selben Maßstäbe vor der eigenen Haustür geht, sehen diese dann weg und gehen zu einer offensiven Bagatellisierung der Jungenbeschneidung über.
Diese Verharmlosung ist aber nicht nur medizinisch unzutreffend. Sie widerspricht auch den Zielen von Gleichstellung und Kinderschutz, die sich viele dieser Organisationen selber auf die Fahnen schreiben.
Das zeigt insgesamt, wie sehr hier mit zweierlei Maß gemessen wird, und Jungenbeschneidung im deutschen Kinderschutz ein Tabuthema ist.
Wir von ARGUS-Kinderschutz fordern Schutz vor unnötigen Beschneidungen für alle Kinder in Deutschland – unabhängig von deren Hintergrund, unabhängig von deren Geschlecht.
Nein.
Denn kein Kind auf dieser Welt hat einen Vorteil davon, wenn wir Erwachsenen sein Leid gegen das Leid eines anderen Kindes aufwiegen wollen.
Wenn wir uns entscheiden, dass Selbstbestimmung, Gewaltfreiheit und Recht auf Unversehrtheit unsere Werte im Umgang mit unseren Kindern sind, dann können wir nicht plötzlich eine Ausnahme beim Genital von Jungen machen, und dies mit der Menge der Gewalt oder der Tiefe des möglichen Schadens begründen.
Ganz unabhängig davon gibt es auch häufige Formen der "Mädchenbeschneidung", die laut der Vereinigung der Amerikanischen Kinderärzte (AAP) "weit weniger massiv sind, als das, was bei dem Eingriff an Jungen passiert." Bei diesen Formen der weiblichen Genitalverstümmelung (WHO Typ Ia und IV) würde also ein Vergleich zu Ungunsten der Mädchen ausfallen.
Wenn Gewalt gegen Kinder quantifiziert werden soll, so geschieht dies meistens nur, weil Erwachsene nach einer Rechtfertigung für ihre eigenen moralischen Doppelstandards suchen. Kinderschutz sollte aber weder versuchen, das Leid von Kindern zu quantifizieren, noch Kinder anhand ihres Geschlechts in "schützenswert" und "nicht schützenswert" aufzuteilen.
Denn alle Kinder verdienen Schutz durch uns Erwachsene.
Quelle: Policy Statement - Ritual Genital Cutting of Female Minors, AAP 2010Soraya Mire ist wohl eine der bekanntesten Aktivistinnen gegen "Mädchenbeschneidung" in den USA (englisch: Female Genital Mutilation/ Cutting, FGM/C). Sie ist selber von der radikalsten Form der weiblichen Genitalverstümmelung (WHO Typ III, Infibulation) betroffen.
Soraya Mire sagt zur Frage der Jungenbeschneidung:
»Genitalbeschneidung ist Kindesmisshandlung, bei Mädchen wie bei Jungen, und beides muss aufhören.«
»Es ist einfacher, mit dem Finger auf Afrika zu zeigen, und was sie den Mädchen dort Barbarisches antun, als das zu sehen, was jeden Tag vor unserer eigenen Haustür mit den Jungen passiert. Aber dazu sagt niemand auch nur ein einziges Wort.«
»Ich sehe mich jedenfalls als Aktivistin für die Rechte von allen Kindern. Ich kann mir nicht nur eine Seite aussuchen, und zur anderen Seite sagen: ich höre deinen Schrei nicht.«